Interview mit HANNES STÖHR zum Film (Teil 1)

Interview mit HANNES STÖHR Regie & Buch:
Wie ist die Idee entstanden, einen Film über einen Musiker zu drehen der elektronische Musik macht? ? Ich habe in den Neunzigern einige Nächte in dunklen Kellern bei Strobo und einige Sonnenaufgänge nach einer langen Partynacht erlebt. Die Schamanen der Partynächte waren immer die DJs, ihre Beats waren der Soundtrack für den persönlichen Film, den jeder anders erlebte. Ab und zu ging ich ins E-Werk, ins Casino, in den Tresor oder den Bunker oder auf Open Air Raves, wie die Fusion. Aber ich war nie der klassische Raver, der die ganze Woche wartet, bis es am Wochenende wieder losgeht. Dennoch hat mich diese Welt immer angezogen. Was mir immer gefallen hat, war das gemeinsame Tanzen, ohne dass vorne einer auf der Bühne steht, der jetzt mit Texten seine Message rüberreicht, wie es die Rockschamanen taten. Wenn die Musik gut war, konnte ich stundenlang tanzen. Das geht auch heute noch, auch wenn meine großen Feierzeiten sicher vorbei sind. Die Geschichten der DJs , die mit Plattenkoffer durch die Lande zogen, fand ich spannend und ich schrieb die ersten Gedanken auf. Der Film sollte im Berliner Clubleben spielen, der Musiker in meinem Film sollte kein Superstar sein, er sollte noch leben und kämpfen müssen für seine Kunst. Auch während ich »Berlin is in Germany« (2001), den WDR Tatort »Odins Rache« (2003) und »One Day in Europe « (2005) drehte, bin ich zum Entspannen oder Nachdenken immer tanzen gegangen. Mir wurde klar, dass der Film in der Gegenwart spielen muss und nicht die Neunziger aufwärmen sollte. Warum einen Film über die Vergangenheit machen, wenn die Gegenwart doch spannend genug ist und die Vergangenheit doch sowieso in der Gegenwart zu finden ist. Ich begann Figuren vom Leben abzuschreiben, die im Film eine Rolle spielen sollten. Der Film porträtiert ja auch keine 20jährigen Raver oder 25jährige Studenten, sondern eher die Generation 30 plus x. Ickarus, die Labelchefin Alice, Mathilde und Corinna, der Clubchef Tom, Erbse, das sind ja alles Figuren, die aus den Neunzigern kommen. Mir geht es immer so, dass ich das Gefühl für eine Geschichte lange mit mir rum trage, bis ich das Grundgerüst aufschreiben kann. DJ sein, jede Woche irgendwo anders auf der Bühne zu rocken, ist ein harter Job. Davor habe ich großen Respekt. Elektronische Musik kommt meist ohne Texte aus, beschränkt sich auf das Wesentliche. Man braucht ein gutes Gespür für den Moment, für den Augenblick. Entweder es rockt oder es rockt nicht. Wenn man sich den »Raider« (Termindispo) von Paul Kalkbrenner anschaut, spielt er zu über 80 Prozent im Ausland. Da verbringt man viel Zeit auf Flughäfen, im Jetlag. Da muss man erstmal damit klar kommen, auch mental und körperlich. Es ist schon ein Unterschied, ob man mit dem VW Bus durch die Lande zieht oder mit dem Flugzeug.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Hauptdarsteller und Filmmusiker Paul Kalkbrenner? ? Das war Ende 2003 und auf der Suche nach der richtigen Musik für den Film. Ich war mit ein paar Freunden in der Arena bei einer Bpitchcontrol Party und Paul legte auf, oder besser gesagt, Paul spielte live an seinem Rechner. Kurz nach dem Beginn seines Sets war nur noch ein Störton zu hören. Es waren bestimmt über 2000 Menschen in der Halle, der Supergau. Irgendetwas war falsch gekabelt. Paul begann auf der Bühne umzukabeln, es war absurd, eine absolut clowneske Situation. Das war das erste Bild von ihm, was ich hatte. 2004 kam dann Pauls Album »Self« raus. »Queer Fellow«, »Castanets«, »The Grouch«, »Dockyard«, das war Filmmusik, das war emotionale Elektronik. Ich erzählte Paul von der Idee, einen Film zu machen und er fand das sofort spannend. Ich begleitete Paul zu einigen Auftritten im In- und Ausland, er machte auch ein paar Remixe für den Soundtrack von »One Day in Europe«. Pauls Musik zeichnet sich für mich durch ein klare Struktur, ein gutes Gefühl für Dramaturgie, ein Gespür für Melodie und die Liebe zum Detail aus. Er kommuniziert auf der Bühne mit dem Publikum durch musikalische Einfälle, weiß genau, wann etwas Neues kommen muss. Was mich immer fasziniert hat war, dass Paul seine Musik an seinem Rechner komponiert und dann mit seiner eigenen Musik auf die Bühne geht, sie sozusagen live auf der Bühne spielt. Er kann immer wieder eingreifen, je nachdem wie er den Moment fühlt. An seinem Rechner etwas zu schaffen und damit auf die Bühne zu gehen, damit habe ich mich immer identifizieren können. Im Grunde machen ein Drehbuchautor, ein Webdesigner oder viele andere künstlerische Berufe heutzutage im übertragenen Sinne ja nichts anderes.

Hat Paul Kalkbrenner auf das Drehbuch Einfluss gehabt? ? Natürlich. Unsere Vision war immer, einen Film über Kunst & Wahnsinn, Liebe, den täglichen Überlebenskampf, Beziehungen, Freunde, Familie, Hoffnung, Zukunft, Gegenwart, Rausch & Ekstase, Berlin zu machen. Auch darüber, wie wichtig es ist, ein Ziel im Leben zu haben. Ein reiner Szenefilm hat uns nie interessiert. Die Eindrücke von Pauls Auftritten, die Möglichkeit hinter die Kulissen zu blicken veränderten natürlich das Buch. Es war auch wichtig für mich, dass Pauls Labelkollegen von Bpitchcontrol (Ellen Allien, Sascha Funke, Carsten Kammerer u.a) mit der Filmidee etwas anfangen konnten. Ihre Ratschläge waren mir immer sehr willkommen, da sie natürlich die Elektrowelt viel besser kennen als ich. Dennoch war für mich und Paul immer klar, dass dies kein Film über sein Label Bpitch wird. Ganz sicher ist, dass es ohne Paul ein ganz anderer Film geworden wäre, wahrscheinlich würde es ihn gar nicht geben. Ab einem gewissen Punkt war mir auch klar, dass Paul diesen Ickarus selber spielen muss. Ich fragte ihn, ob er neben der Musik auch die Hauptrolle übernehmen will und er war dabei. Aus Ikarus wurde Ickarus, das Porträt eines Berlin Elektrokomponisten. Dieser Prozess war sehr spannend. Paul hat in einem Interview mal geantwortet: »Ich kenne den Ickarus sehr gut, weil er so ist, wie ich nicht hätte werden sollen. Er ist mein eigener Dämon, aber auch einer, der gerne dahin will, wo ein Paul Kalkbrenner vielleicht heute ist«. Ich finde, dieser Satz von ihm beschreibt das Spannungsverhältnis zwischen Figur und Hauptdarsteller ganz gut. Auf jeden Fall kann man sagen, dass Ickarus noch nicht so erfolgreich ist wie Paul Kalkbrenner. Ickarus ist eher ein Insidertip, der zwar manchmal den Mainfloor spielt, auch viel unterwegs ist, aber noch nicht so im großen Stil wie Paul. Es ist ja heute nicht so, dass nur die Stars oft im Flugzeug sitzen.

Wie schon in deinen Filmen »Berlin is in Germany« und »One Day in Europe« liegt Komisches und Tragisches sehr nah beieinander. Was fasziniert dich an der Tragikomödie? ? Schon die commedia dell? arte wusste: keine Komik ohne Tragik. Ich denke, es ist eine Frage der Weltsicht. Man hätte die Einlieferung von Ickarus in die Drogenklinik ja auch ganz tragisch erzählen können, als ausweglose Sackgasse. Ich kenne Leute, die durch Drogen ihr Leben kaputt gemacht haben, wo es einem nicht nach Lachen zu Mute ist, wenn man sich die Geschichte anschaut. Mir war aber wichtig, dass Ickarus jetzt kämpfen muss, sich entscheiden muss. Ickarus hat eben ein Ziel und das macht ihn stark. Den Kampf mit der Welt drückt er in seiner Musik aus. Und wenn Hoffnung da ist, dann ist auch Raum für Komik. Ich halte nichts davon, hinten die Leinwand schwarz zu malen und zu glauben, dies wäre dann realistischer. Mir fällt da immer der Satz von Erich Kästner ein: »Wer das Schöne nicht sieht, wird böse, wer das Schlechte nicht sieht, wird dumm«. Tragik und Komik sind wie zwei Seiten einer Medaille. Ich empfinde die Welt oft als Tragödie, fühle mich angezogen von tragischen Figuren und mache mir dann beim Erzählen der Geschichte selber Mut, habe Sehnsucht nach dem Lichtblick. Für mich wäre die Welt ohne Humor sowieso nicht zu ertragen. Was bleibt, ist dann so ein Gefühl von positiver Melancholie. Und genau hier trifft sich dann, denke ich, meine Weltsicht mit der Musik von Paul. Wenn Ickarus zum Beispiel nach dem Feiern in der Bar 25 seinen Vater, einen protestantischen Pfarrer, in der Kirche besucht und dieser predigt von der Kanzel den Weltuntergang durch die Klimakatastrophe, dann empfinde ich das als sehr bitter. Mittlerweile bekommen wir in der Tagesschau als erste Meldung verkündet, dass die Welt untergeht, wenn wir so weiter leben. Ich weiß, wir müssen unser Verhalten ändern, trotzdem fliege auch ich oft mit dem Flugzeug in der Welt rum, weil es eben manchmal gar nicht anders geht. Ickarus hört seinem Vater resigniert zu und nimmt dann einen Schluck aus seinem mitgebrachten Wodka-Bull. Das ist dann für mich tragikomisch.
(Das Interview führte Martin Hildebrandt während der Dreharbeiten.)

Quelle: http://www.berlin-calling.de
Eintrag vom: 13.09.2008


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